Antisemitismus in Europa. Fallbeispiele eines globalen Phänomens im 21. Jahrhundert

Wie manifestiert sich Antisemitismus im 21. Jahrhundert in Europa und wer sind die Akteure? Lassen sich globale Trends feststellen, oder kommt nationalen Besonderheiten immer noch Bedeutung zu?

Im  Vorjahr ist eine neue Publikation über Antisemitismus in Europa erschienen; ein Buch von Helga Embacher, Bernadette Edtmaier und Alexandra Preitschopf (2019). Antisemitismus in Europa. Fallbeispiele eines globalen Phänomens im 21. Jahrhundert. Wien-Köln-Weimar: Böhlau Verlag.

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts kam es in einigen europäischen Ländern zu einem sprunghaften Anstieg der Anzahl antisemitischer Straftaten. Häufig wurde von einer Welle an „neuem Antisemitismus“ gesprochen. Mit den gezielten Tötungen von Juden und Jüdinnen vor einer jüdischen Schule in Toulouse (2012), den Anschlägen auf das jüdische Museum in Brüssel (2014), auf die Kopenhagener Synagoge (2015), und auf einen koscheren Supermarkt in Paris im selben Jahr (der in Verbindung mit dem Anschlag auf Charlie Hebdo steht), wurde eine neue Dimension antisemitischer Gewaltakte erreicht.

Antisemitismus wird auch von unterschiedlichen Seiten instrumentalisiert. So werden nicht nur auf politischer Ebene „rechter Antisemitismus“ und „muslimischer Antisemitismus“ gegeneinander ausgespielt; selbst in der Wissenschaft wird – teilweise sehr emotional – über das konkrete Ausmaß und die Frage einer klaren Grenzziehung zwischen Kritik an Israels Politik und Antisemitismus diskutiert.

Diese Entwicklungen werfen eine Reihe von Fragen auf: Was ist das Neue am „neuen Antisemitismus“? Wer sind die AkteurInnen und was sind deren Motive? Wie kann mit dem Problem einer möglichst klaren Grenzziehung zwischen Kritik an Israels Politik und Antisemitismus umgegangen werden? Wie exakt sind Aussagen über das Ausmaß von Antisemitismus? Kann ein Zusammenhang zwischen Antisemitismus und der ebenfalls stark angestiegenen Feindlichkeit gegenüber Muslim*innen festgestellt werden? Und: Lässt sich Antisemitismus exakt definieren? Die Publikation nähert sich diesem komplexen Phänomen in einer differenzierten Herangehensweise.

Neben der Beleuchtung allgemeiner Fragen wie dieser, zeigen die Autorinnen anhand der Länder Großbritannien, Österreich und Frankreich Ähnlichkeiten und Unterschiede in den Ausprägungen, den Debatten und im Umgang mit Antisemitismus auf. Der Beitrag über Frankreich fokussiert auf die Mordanschläge an französischen Juden und Jüdinnen sowie deren Täter, gibt einen Überblick über die „neue“ antizionistische Rechte und die französische „Tradition“ der Holocaust-Relativierung und geht auf die Rolle des Nahostkonflikts bzw. auf die Palästina-Solidarität unter politisch linken Gruppen und Muslim*innen ein. In Großbritannien lösten Aussagen des Oppositionsführers Jeremy Corbyn Diskussionen über Antisemitismus in der Labour Party aus, die – wie auch seine verhängnisvollen Verteidigungsstrategien – Teile des Großbritannien-Kapitels sind. Außerdem wird u.a. die Problematik eines zu Antisemitismus mutierten Antizionismus am Beispiel der Stop the War – Coalition, der europaweit größten Bewegung gegen den Irakkrieg, diskutiert. Ein wesentlicher Fokus des Beitrages zu Österreich liegt auf der FPÖ, die sich innerhalb kurzer Zeit von einer pro-palästinensischen hin zu einer pro-israelischen Partei entwickelt hat. Weiters prägen nach wie vor die vielen „Einzelfälle“ aus dem FPÖ-Umfeld Diskussionen um Antisemitismus. Analysiert wird außerdem (israelbezogener) Antisemitismus in manchen linken Gruppierungen und unter Muslim*innen.

Leseprobe: Seite 1-25

Buchbestellung: Böhlau-Verlag

Bernhard Trautwein