Zwischen Ambition und Vision. Die kompetenzorientierte Reifeprüfung im Fach Geschichte, Sozialkunde, Politische Bildung im Spannungsfeld von Theorie und Praxis.

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Die kompetenzorientierte Reifeprüfung

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Die kompetenzorientierte Reifeprüfung GSP

Zu den herausragenden und wirkmächtigen Aufgabenfeldern der österreichischen Geschichtsdidaktik der letzten zehn Jahre gehört die Implementierung des Paradigmas der Kompetenzorientierung in den Geschichtsunterricht und in die Politische Bildung. Ein Meilenstein auf dem Weg der didaktischen Neuausrichtung war, abgesehen von der Mitarbeit an der Konzeption des Kompetenzmodells der Gruppe FUER Geschichtsbewusstsein, der nachfolgenden Modifizierung der Lehrpläne und der Mitwirkung an der Fortbildung der Lehrer*innen, die Neustruk- turierung der Matura. Die Reifeprüfung wurde 2012 mit dem Ziel reformiert, fachliche Kompetenzen sichtbar zu machen (BMBF, 2011).

Nach Bodo v. Borries ist es eine Agenda fachdidaktischer Wissen- schaft, von ihr initiierte Innovationsprozesse forschend zu begleiten (Borries, 2007). Diesem Diktum folgend befasst sich mein Forschungsvorhaben mit der Reifeprüfung als Instrument fachlicher Kompetenzmessung. Aus dem Forschungsinteresse resultieren zwei Forschungsfragen: Die eine bezieht sich auf die Beschaffenheit jener historisch-politischen Kompetenzen, deren Entfaltung der österreichische AHS-Geschichtsunterricht und die Politische Bildung fördern möchte. Die andere widmet sich der graduellen Ausprägung der evident werdenden Teilkompetenzen. Sie richtet ihren Blick insbesondere darauf, ob das vom FUER-Modell erwartete Erreichen intermediären („konventionellen“) Niveaus am Ende einer gymnasialen Bildungslaufbahn unter den Bedingungen des mündlichen Prüfungsformats nachgewiesen werden kann. Die Studie knüpft an den Forschungsstand an. Daher bilden sowohl das Kompetenz-Strukturmodell der Gruppe FUER und dessen Graduierungstheorie (Körber et al., 2007), als auch Einzelstudien zur Aufgabenerstellung (Kühberger, 2011; Mittnik, 2014) und zur Kom- petenz-Evaluation (Schönemann et al., 2010) die wissenschaftlichen Ausgangs- punkte der Untersuchung.

Die Ergebnisse der ermittelten Sach-, Methoden- und Orientierungskom- petenzen sowie deren Ausprägungsgrad zeigen, dass in der Reifeprüfung zwar die Reproduktion von Fachwissen dominiert, deren konzeptuelle Anwendung aber weiter- zuentwickeln ist (basaler Niveauintervall). Die Nutzung von Verfahren zum analytischen Umgang mit Materialien (prozedurales Wissen) ist signifikant verbesserbar (Zwischenintervall Null- und basales Niveau). Als problematisch stellt sich der Umgang mit historisch-politischen Urteilsbildungen (Kriterium der Orientierungs- kompetenz) dar. Sie erscheinen entweder als im Unterricht vorgeformt oder entspringen prüfungsstrategischen Überlegungen. Trotzdem gelangen sie im Durchschnitt in den basalen Niveaubereich. Dem narrativen Paradigma wird nur ansatzweise genüge getan.

Historische Erzählungen kommen, wenn überhaupt, in Reduktionsformen vor, denn die Prüfungsgespräche sind meist durch eng geführte Dialoge charakterisiert. Verbesserbar ist darüber hinaus die Gestaltung der Aufgaben. Sie entsprechen zwar weitgehend den amtlichen Vorgaben, nicht aber den didaktischen Zielen. Es werden Unsicherheiten im Umgang mit Operatoren evident, es mangelt an einem erkenntnislogischen Aufbau der Arbeitsaufträge, und es gibt eine große Diskrepanz bei der Zahl und dem Schwierigskeitsgrad der ausgewählten Quellen und Darstellungen sowie bei den Aufträgen zu deren Bearbeitung. Aus den genannten Gründen ist die graduelle Ausprägung der sichtbar gewordenen Kompetenzen im Mittel auf basalem Niveau angesiedelt und verfehlt damit das vom Kompetenzmodell formulierte Ziel des Erreichens des intermediären Intervalls.

LITERATUR

Borries, Bodo v. (2007): Empirie: Ergebnisse messen (Lerndiagnose im Fach Geschichte). In: Körber, Andreas/Schreiber, Waltraud /Schöner, Alexander (Hgg.): Kompetenzen historischen Denkens. Ein Strukturmodell als Beitrag zur Kompetenzorientierung in der Geschichtsdidaktik. (= Kompetenzen: Grundlagen-Entwicklung-Förderung, Bd. 2, Neuried), S. 653-674.

Bundesministerium für Bildung und Frauen (BMBF) (Hrsg.) (2011): Die kompetenzorientierte Reifeprüfung in den Unterrichtsgegenständen Geschichte und Sozialkunde, Politische Bildung. Empfehlende Richtlinien und Beispiele für Themenpool und Prüfungsaufgaben, koordiniert von Philipp Mittnik (Wien).

Körber, Andreas; Schreiber, Waltraud; Schöner, Alexander (Hsg.) (2007): Kompetenzen historischen Denkens. Ein Strukturmodell als Beitrag zur Kompetenzorientierung in der Geschichtsdidaktik. (= Kompetenzen: Grundlagen – Entwicklung – Förderung, Bd. 2, Neuried).

Kühberger, Christoph (2011): Aufgabenarchitektur für den kompetenzorientierten Ge- schichtsunterricht. Geschichtsdidaktische Verortungen von Prüfungsaufgaben vor dem Hintergrund der österreichischen Reife- und Diplomprüfungsreform. In: Historische Sozialkunde 1, S. 3-11.

Mittnik, Philipp (2014): Zentrale Themen des Geschichteunterrichts in Österreich. Evaluation der Reifeprüfungsaufgaben aus dem Unterrichtsgegenstand Geschichte und Sozialkunde/Politische Bildung an Wiener AHS. Eine empirische Erhebung. (= Forschungsperspektiven 6, Wien, Berlin), S. 49-66.

Schönemann, Bernd; Thünemann, Holger; Zülstorf-Kersting, Meik (2010): Was können Abiturienten? Zugleich ein Beitrag zur Debatte über Kompetenzen und Standards im Fach Geschichte. (= Geschichtskultur und historisches Lernen 4, Berlin).

Christian Pichler

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